Mellnau im Jahr 2035

Im Januarkuckuck 2005 wagte die Redaktion einen Ausblick auf das Jahr 2020. Euphorisiert durch die beginnenden Prozesse der Dorferneuerung zeigten wir eine mögliche Zukunftsvision unseres Dorfes auf, bei der es der Mellnauer Bevölkerung an nichts zu fehlen schien. Wir schauen einmal nach: was hat geklappt, was lief anders und wo könnte die Reise hingehen?

Unterschätzte Überalterung

In unserer Prognose vor 17 Jahren gingen wir davon aus, dass erst im Jahr 2050 jeder Dritte im Landkreis älter als 65 Jahre sein wird. Die offiziellen Zahlen der Stadt Wetter zeigen, dass sich die Lage deutlich schneller verschärfen wird. Bereits im Jahr 2030 sind 33% unserer Einwohner zwischen 60 und 80 Jahre alt. Dazu kommen weitere 9%, die über 80 Jahre alt sind.

Am 30.6.2021 hatte Mellnau offiziell 752 mit Hauptwohnsitz gemeldete Menschen im Dorf. Die Statistiker gehen davon aus, dass sich bis 2030 diese Zahl auf 719 Menschen reduziert. Legt man dann die prognostizierte Altersverteilung zugrunde, haben wir in acht Jahren ca. 302 Personen im Dorf, die entweder bereits in Rente sind oder zumindest kurz davor stehen.

Die Auswirkungen allein dieser Entwicklung sind vielfältig: mit der Rente geht tendenziell ein Verlust von Kaufkraft einher, das Stichwort Altersarmut steht seit Jahren in der öffentlichen Diskussion im Raum. Die eigene Mobilität wird im Laufe der Jahre eingeschränkter, der Bedarf an medizinischer Versorgung höher. Und auch größere Investitionen in das eigene Haus wird man eher seltener angehen, wenn es 20 Jahre dauert, bis sie sich rentiert hat – man denke nur an energetische Sanierungen, Photovoltaikanlagen oder Wärmepumpen.

Ja, wir haben die Überalterung auch schon damals kommen sehen. Damals trieb uns jedoch eher die Frage um, ob das Rentensystem noch bezahlbar ist und wie die Arbeitslosenquote damit zusammenhängt. Unter anderem durch den Klimawandel erkennen wir, dass die Frage der Überalterung deutlich komplexer ist.

Engagement abseits der Vereine

Auch das Zusammenleben im Dorf wird sich durch den demographischen Wandel weiter verändern. Geht man davon aus, dass die unter 20jährigen und die über 60jährigen tendenziell etwas weniger aktiv sind, wenn es darum geht, Dorffeste zu organisieren oder öffentliche Hand- und Spanndienste wahrzunehmen, verbleiben im Jahr 2030 gerade einmal noch 309 Personen, die Altersmäßig hierfür überhaupt in Frage kommen. Berücksichtigt man, dass wir heute ca. 25 Personen haben, die mehr oder weniger beständig für das Gemeinwohl aktiv sind, könnte sich diese Zahl durch die Verschiebung der Alterspyramide Richtung 15 Personen reduzieren. Für die acht Vereine im Ort sowie Ortsbeirat und Kirchenvorstand brauchen wir aber locker 50 Aktive bzw. Mehrfachaktive. Mit einem Bestand von 15 Leuten werden perspektivisch nur zwei Vereine, der Ortbeirat und eventuell der Kirchenvorstand die Zeit überdauern.

Verfall der Immobilienpreise?

Die mögliche Entvölkerung der Dörfer und Entwertung der Immobilien waren bereits 2005 ein Thema. Und ist es auch heute noch. Je weiter weg ein Dorf vom jeweiligen Oberzentrum ist, desto unattraktiver wird es. Fehlt es dann noch an Internet-Glasfasern und schnellen Straßen, ist die Abwärtsspirale vorprogrammiert. Jedoch: von diesem Punkt sind wir in Mellnau weit entfernt.

Das geschäftige Treiben rund um Owe Feisels Hof zeigen, dass sich durchaus Menschen finden, die altgediente Immobilien übernehmen und mit großem Engagement zu etwas Neuem entwickeln. Unsere Bevölkerung schrumpft zwar auch trotz des Zuzugs, Leerstand haben wir jedoch nicht.

Richtig ist sicherlich, dass im Gebäudebestand des Dorfes altersgerechtes Wohnen noch nicht überall angekommen ist. Auch beim betreuten Wohnen sind wir noch nicht da, wo wir es 2005 erwartet haben. Doch auch hier kommt wieder die Demographie ins Spiel: rein rechnerisch gesehen muss man heute spätestens mit 60 Jahren den eigenen Hausumbau voranbringen, damit man die nächsten 20 Jahre vom barrierefreien Bad oder dem rollstuhlgerechten Hauseingang profitieren kann. Wer den – mitunter recht teuren – Umbau bis dahin nicht macht, wird danach vor dem finanziellen und organisatorischen Aufwand tendenziell eher zurückschrecken.

Wachstum für Mellnau?

Schauen wir nach vorn und stellen uns die Frage, ob es überhaupt wünschenswert ist, dass Mellnau wächst. Relativ klar ist, dass Neubaugebiete am Rand des Dorfes relativ unwahrscheinlich sind. Der Regionalplan sieht Erweiterungen dieser Art kaum mehr vor – und sie sind auch nicht sinnvoll. Warum? Je mehr neue Straßen es braucht, desto höher werden die Kosten für den Unterhalt der Versorgungsnetze – und ganz davon ab ist die fortwährende Flächenversiegelung auch für die Landwirtschaft ein Problem. Wenn wir Raum für neue Gebäude suchen, wird das zum überwiegenden Teil im Inneren des Dorfes sein.

Für ein Wachstum unserer Bevölkerung sollten wir uns hingegen offen zeigen. Nicht erst die Covid-19-Pandemie hat das Interesse am Leben auf dem Land wieder geweckt. Überfüllte Städte und ihr Umland verzeichnen vielfach einen starken Bevölkerungsanstieg, dem sie nicht mehr gewachsen sind, die Wohnkosten steigen, die Lebensqualität sinkt. Wir, unser Dorf, bieten hingegen Freiräumen und eine Alternative für Familien, für jüngere und ältere Menschen. Auch das gelebte Engagement für die Nachbarschaft und das Zusammenleben im Ort mag den ein oder anderen veranlassten, die Stadt zu verlassen und aufs Land zu kommen.

Prioritäten für die 20er Jahre

Die Anpassung des Dorfes an den Klimawandel ist eine Priorität, der insbesondere die Hausbesitzer in den nächsten Jahren werden nachkommen müssen. Photovoltaik haben wir oben schon genannt – und das macht total Sinn. Rechnet man den Bedarf an Heizenergie und Strom zusammen, braucht Mellnau rund 25.000 MWh (Megawatt/Stunden) bzw. 25 Millionen kWh (Kilowatt/Stunden) Energie pro Jahr. Der reine Strombedarf liegt übrigens deutlich darunter, da kommen wir auf nicht einmal 2 MWh.

Würden wir auf den rund 300 Gebäuden im Ort jeweils eine Solaranlage installieren, bekämen wir darüber rund 3 Millionen kWh direkt erledigt, also 12% unseres gesamten Energiebedarfs. Kostenpunkt: knapp 6 Millionen Euro. Es klingt im ersten Moment teuer, die Folgen des Klimawandels werden aber für alle erheblich teurer – das Aartal lässt grüßen. Und man darf nicht vergessen: rechnet man pro produzierter kWh ganz grob 20 Cent, die letztlich im Dorf bleiben, weil der Strom vor Ort produziert wurde, sind das immerhin auch 600.000 Euro, die im Dorf bleiben.

Stichwort Klimawandel: Wenn nächstes Jahr die Stadt Wetter die extra erstellte Starkregenkarte veröffentlicht, wird der ein oder andere vielleicht auch noch Geld in Vorsorgemaßnahmen investieren wollen. Und darüber hinaus werden wir auch noch einmal über den Brandschutz im und am Burgwald sprechen müssen – ein Teil unseres Dorfes liegt ja nun schon recht nah am Wald.

Die Heizungsanlagen sind der nächste große Schritt, sie müssen weg von der Verbrennung, hin Richtung Strom. Wärmepumpen könnten es werden, doch auch andere Optionen sind denkbar. Und auch hier wird erkennbar: der Umbau des Dorfes wird viel Geld binden, der ein oder andere Sommerurlaub wird mutmaßlich ausfallen müssen.

Mellnaus Weg in die Zukunft. Ob die Nahwärme dabei eine Rolle spielen wird, ist eine der zentralen Fragen, die zu klären ist.

Spannend wäre dann noch die Frage, ob Mellnau von der heimischen Biogasanlage profitieren könnte. Leider muss man feststellen, dass wir das Zeitfenster dafür verpasst haben – und das muss man auch hier demographisch sehen. Uns fehlen schlichtweg rein zahlenmäßig die Leute, die gewillt wären, in Form eines Betreibervereins oder einer Genossenschaft ein solches Netz zu verantworten. Das Geld dafür bekäme man mutmaßlich zusammen, der Umbau unseres Energiesystems wird öffentlich gefördert. Dass ganze aber, ähnlich wie in Ober- oder Unterrosphe im Ehrenamt zu stemmen, erscheint angesichts unserer arg strapazierten Personaldecke bei den Vollzeit-Aktiven unwahrscheinlich. Andererseits: wenn die Versorgungspreise weiter steigen, lohnt es sich eventuell, das Netz kommerziell hochzuziehen.

Zeitgemäße Mobilität

Ebenfalls interessant dürfte die Frage werden, mit welcher Form von Mobilität wir perspektivisch leben werden. Wenn erst einmal die Hälfte unserer Einwohner Rentner sind, die gelegentlich in Wetter einkaufen gehen und zum Arzt fahren wollen, stellt sich schon die Frage, ob wir nicht ernsthaft über einen gescheiten Radweg nach Wetter nachdenken müssen. Dank E-Bikes sind ja auch die Steigungen mittlerweile gut zu schaffen – und die Vorgaben in Sachen CO2 Einsparung werden auch an Mellnau nicht spurlos vorüber gehen.

Damit einher sollte auch die Frage gehen, ob wir es nicht doch schaffen, bis 2035 einen Carsharing-Ansatz im Dorf zu etablieren. Je mehr Leute Homeoffice machen oder einfach nur gelegentlich fahren müssen, desto besser würde das passen. So ein Carsharing-Auto am Dorfgemeinschaftshaus, neben einer Ladesäule, kurzfristig reservierbar per Internet – ja, das könnte eine Perspektive sein.

Gesellschaftslabor Ostkreis

2035 – das mag für manche noch weit weg klingen, doch es sind nur noch 13 Jahre. Und bereits ab 2030 sollen unsere CO2 Emissionen um 65% im Vergleich zu 1995 reduziert sein. Dafür haben wir noch 8 Jahre Zeit. Die Zeit für Wandel ist ganz unzweifelhaft gekommen.

Der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer sprach einmal davon, dass die ländlichen Gebiete zu einem „Gesellschaftslabor“ werden könnten, in denen „jene Modelle von Effizienz und Nachhaltigkeit erprobt und optimiert werden, die in einer Welt mit weniger Wachstum möglich und notwendig werden. Nicht Niedergang, sondern Fortschritt wäre dann die Zukunftsvision für das Land.“

Der Umgang mit dem eigenen Dorf, das Lernen über das eigene Dorf in diesem Prozess verlangte Mut und Phantasie von den Beteiligten. Es sind lebendige Ortskerne und engagierte Bürger, die darüber entscheiden, ob man in einer Gemeinde wohnen will.

Auf Mellnau und dort insbesondere den Ortsbeiräten kommt daher eine verstärkte Rolle zu, die wiederum ohne die Mitarbeit der Dorfbevölkerung nicht gelingen kann. In den umliegenden Orten gibt es bereits genügend positive Ansätze für gemeinschaftliches Handeln. Viele gute Ideen, die Mobilität auf dem Land zu verbessern, Wohngebäude für altersgerechtes Wohnen zu nutzen, funktionierende Dorfläden oder zeitgemäße Energieversorgung aus nachwachsenden Rohstoffen.

Einige davon werden wir in kommenden Ausgaben vorstellen und Lösungsansätze aufzeigen, damit wir auch in Mellnau die Weichen für eine hoffnungsvolle Zukunft stellen können. In diesem Sinne auf die nächsten 13 Jahre. Auf Mellnau 2035.

 A. Ditze u. A. Völk Fotos A. Völk

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