Verpflichtung zur Verdichtung

„Wir erhalten regelmäßig Anfragen von Leuten, die in Mellnau bauen wollen aber keinen Bauplatz finden“, berichtete Mellnaus Ortsvorsteherin in der Ortsbeiratssitzung im Januar 2020. Und mit der Bebauung des letzten verbliebenen Bauplatzes im ehemaligen Neubaugebiet „In den Stöcken“ ist es jetzt auch amtlich, dass es von städtischer Seite keine Bauplätze mehr gibt.

Mellnau - Straßenkarte mit symbolischen Häusern
Freie Bauplätze im bestehenden Ortsbild muss man nicht lange suchen

Bauplätze! Wozu?

Kurz & knapp: Mellnau schrumpft, Wetter schrumpft. Zum 30.06.2019 hatte Mellnau laut Einwohnermelderegister der Stadt gerade mal noch 763 Einwohner. Die Stadt insgesamt liegt bei 8.820 Leuten. Zum Vergleich: im Jahr 2000 hatte Wetter noch 9.600 Einwohner. Und Mellnau hat 1995 mit 877 Einwohnern seinen bisherigen Höhepunkt erreicht.

Weniger Einwohner bedeutet weniger Steuereinnahmen. Bei gleichzeitig steigenden Kosten, bspw. für die Kinderbetreuung oder bei der Ausstattung der Feuerwehr, bringt das eine kleine Gemeinde schnell an ihre Grenzen. Die seit Jahren steigende Verschuldung der Stadt wurde auch im Kuckuck bereits mehrfach thematisiert.

Der Rückgang der Bevölkerung schlägt sich auch im Ortsbild nieder. Die Auflösung von Vereinen und die hohe Auslastung unserer Aktiven wurde ebenfalls im Kuckuck schon thematisiert – und hier sieht man eben die konkreten Auswirkungen, die es hat, wenn eine Gemeinschaft schrumpft. Wir freuen uns – mitunter erwarten wir sogar – das der Burginnenhof gemäht, die Toilettten am Sportplatz sauber, die DGH-Fassade gestrichen und das Dorf-WLAN schön schnell ist. Aber all das fällt nicht vom Himmel, sondern wird von einer kleiner werdenden Gruppe von Leuten geleistet.

Bauplätze! Wohin?

Bisher ist die planerische Leitlinie des Regierungspräsidiums, dass primär die Kernstädte gestärkt werden. Neue Bauplätze auf dem Dorf sind zwar möglich, aber eben nicht die favorisierte Option. Doch schauen wir genauer hin: würde die Kernstadt sich vom Mellnauer Weg aus Richtung Kreuzung K123 erweitern wollen, würde ein Neubaugebiet in unmittelbarer Nähe (1.000m) zum Windpark Todenhausen-Mellnau geschaffen, der laut Planung eines der Investoren im Jahr 2023 mit vier bis sechs Windkraftanlagen in Betrieb gehen soll. Nabenhöhe 166 Meter zzgl. 80m Flügel – die Anlagen wären also auch im Tal in Wetter gut zu sehen. Attraktive Neubauflächen sehen vermutlich anders aus. Dazu sind die Grundstücke in der Kernstadt verhältnismäßig klein geschnitten – Platz für eine ordentliche Garage bleibt da kaum. Und auch eine Verlängerung des Neubaugebiets am Oberrospher Weg kämpft im Prinzip mit denselben Problemen.

Schauen wir auf Mellnau: das Dorf liegt rund 1.700 Meter von der Windkraftfläche entfernt und hält im Ortskern noch mehrere dutzend Bauplätze vor, die entweder schon erschlossen sind oder leicht angebunden werden könnten. Da außerdem der neue Kindergarten in Unterrosphe auf einen stetigen Zugang von Kindern angewiesen ist und auch das geplante neue Feuerwehrhaus in Oberrosphe nur Sinn macht, wenn es von einer aktiven Einsatzgruppe genutzt wird, wird immer deutlicher, dass der Zuzug in Wetters östlichen Stadtteilen erleichtert werden muss.

Warum haben wir so viele Freiflächen?

Erkundigt man sich vorsichtig danach, warum in Mellnau so viele Flächen im Ortskern leer stehen, gibt es verschiedene Antworten. Die häufigste lautet: „man verkauft kein Land. Punkt.“

Die etwas auskunftsfreudigeren Menschen weisen gerne darauf hin, dass sie die Fläche hinter ihrem Haus „für die Tochter“, „für die Tiere“ oder „falls meine Enkel mal nach Mellnau ziehen wollen“ freihalten. Das die Enkel entweder noch nicht geboren oder schon in den Vierzigern sind, wird dabei mitunter übersehen – aber das wollen wir von Seiten des Kuckucks nicht bewerten.

Neben den erschlossenen Flächen, die schlichtweg aus privaten Gründen nicht verkauft werden, haben wir aber auch noch eine andere Kategorie potenzieller Bauplätze im Ort: die verhinderten. Es gibt Ecken in Mellnau, die nie einen ordentlichen Straßenausbau erfahren haben und bei denen die Baugenehmigung unter historisch verworrenen Umständen zustande gekommen ist. Würde man diese Straßenzüge in eine ordentlichen Bebauungsplan integrieren, würden sowohl neue Bauplätze geschaffen als auch ordentliche Straßen hergestellt werden. Allerdings mit der Konsequenz, dass im nennenswerten Umfang Anliegergebühren zu zahlen wären – die jedoch jeder andere Anwohner an einer neu erschlossenen Straße im Ort auch schon zahlen musste.

Einwohner haben kein Interesse an neuen Bauplätzen

Teure Anliegergebühren, zerfahrene Straßen, Dreck & Lärm durch Bautrupps und am Ende eine verbaute Aussicht aus dem eigenen Wohnzimmer – angesichts dieser Perspektiven stellt sich schon die Frage, warum die Bevölkerung überhaupt einer Verdichtung zustimmen sollte.

Die Lösung für dieses Problem kommt vom Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer (Die Grünen). Der verschickte um Ostern 2019 herum einen Brief an die Grundstücksbesitzer und legte ihnen nahe, dass sie freie Flächen an Bauwillige verkaufen sollten. Laut Medienberichten vermied er dabei zwar das Wort „Enteignung“, berief sich aber auf Paragraph 176 des Baugesetzbuchs. Der besagt in aller Kürze, dass die Gemeinde jemanden per Bescheid verpflichten kann, sein Grundstück innerhalb einer angemessenen Frist zu bebauen. Sollte sich der Betroffene den Bau nicht leisten können, kann er das Grundstück an die Stadt verkaufen. Wenn also das Gemeinwohl (Auslastung Kindergarten, Personalstärke Feuerwehr, Erhalt der Vereinsstrukturen, …) aus Sicht der Stadt schwerer wiegt als der Ärger mit einigen älteren Grundstückseigentümern, dann könnte sie diesen Weg gehen.

Verdichtung oder neues Neubaugebiet?

Statt die freien Wiesen und Bauplätze im bestehenden Ortsbild zu nutzen, bleibt natürlich auch noch die Option, ein neues Neubaugebiet auszuweisen. Irgendwo, wo es möglichst wenig „stört“. Aber schauen wir auch hier genauer hin, zum Beispiel auf Google Earth. Würde rund um den Försterweg oder Rennweg ein Neubaugebiet angedockt, gehen einmal mehr landwirtschaftlich genutzte Flächen verloren. Für den Eigentümer ist die Umwandlung von Ackerland zu Bauland in der Regel eine finanziell gute Sache, die heimische Agrarproduktion wird dadurch aber nicht einfacher. Für die Jahre 2007 bis 2010 ermittelte das Statistische Bundesamt, dass wir in Deutschland jeden Tag 87 Hektar Land „verbraucht“ haben – also durch Versiegelung und Bebauung rund 120 Fußballfelder pro Tag betoniert haben. Hier wird zwingend die Frage zu stellen sein, ob vor diesem Hintergrund ein Ausweichen in die landwirtschaftlichen Flächen wirklich die beste Option ist.

Mellnau - Ansicht Drohne
Mellnau ist umgeben von landwirtschaftlichen Flächen und Wald

Verdichtung per Verordnung?

Kommen wir zurück zum Anfang unseres Berichts: der Kernstadt. Im bisherigen Neubaugebiet in Wetter ist erkennbar, dass die Leute ins Eigentum investieren und selber bauen wollen. Der Windpark könnte diese Baulust hemmen – die Entscheidung darüber, ob er kommt, hängt allerdings davon ab, ob genügend Leute Land an die Investoren verpachten. Da die meisten Landbesitzer für diese Fläche aus Todenhausen kommen – und Todenhausen lediglich den gesetzlichen Mindestabstand zur Windkraftfläche hat – ist unklar, ob die dortigen Bewohner unter diesen Umständen wirklich verpachten wollen. Infraschall, Schattenwurf und je nach Perspektive auch Blinklichter lassen grüßen. Doch wie dem auch sei: Baurecht für den Windpark ist grundsätzlich gegeben, die Klagen der BI Windkraft Wetter und der Stadt haben keine aufschiebende Wirkung.

Da die Stadt Neubauflächen in der Kernstadt erst kaufen müsste, würde sie ein finanzielles Risiko tragen, falls die Grundstücke sich wegen des Windparks nicht mehr so gut verkaufen ließen. Dieses Risiko könnte sie vermeiden, wenn ein Bebauungsplan über Mellnau gelegt werden würde, der letztlich regelt, dass bspw. innerhalb von zehn Jahren die offenen Flächen bebaut (oder an die Stadt verkauft) werden müssen.

Was sagt das Amt?

Laut Geoportal des Landkreises gibt es aktuell für Mellnau zwei Bebauungspläne (sowie einen Spezialplan für die Biogasanlage). Der eine Bebauungsplan bezieht sich auf den Bereich In den Stöcken, der andere auf den Dämmersgrund. Die Stöcke sind voll, der Dämmersgrund ist verkehrstechnisch bescheiden erreichbar – es zeichnet sich also ab, dass es ohne eine neue Planung nicht weitergehen kann.

Da die vorhandenen Bebauungspläne für Mellnau keine Antwort darauf geben, wo ein bauwilliger Mensch denn nun hinbauen kann, hat der Ortsbeirat im Januar 2020 eine offizielle Anfrage an die Stadt auf den Weg gebracht, inwieweit diese eine Neubebauung in Mellnau überhaupt befürworten würde.

Wir vom Kuckuck wagen an dieser Stelle auch schon einmal die Prognose, dass sowohl die Antwort der Stadt als auch die Kommunalwahl 2021 für Mellnau noch sehr spannend werden dürfte.

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