Freifunk ist mehr als freies WLAN

Vor 2,5 Jahren entstanden die ersten freien WLAN Hotspots in Mellnau. Mittlerweile sind es bereits 16, mit dem Rosphetal sind es schon 25. Und so langsam wird klar: es geht um mehr als kostenloses Surfen. Es ist Zeit für eine Analyse.

Zahlen, Daten, Fakten

In den letzten 12 Monaten benutzten im Schnitt 12 Geräte rund um die Uhr das Netz. In der Spitze waren es 53 Geräte, die gleichzeitig eingeloggt waren. Seit September zählen auch Unterrosphe, Oberrosphe und Wetter mit in die Statistik, was dazu führte, dass sich die permanente Netznutzung seither auf durchschnittlich 21 Geräte erhöht hat.

Das Freifunknetz ist im besten Sinne ein Gemeinschaftsprojekt. Die Geräte werden zumeist an öffentlichen oder privaten Fassaden montiert, die dortigen Eigentümer übernehmen vor allem die laufenden Stromkosten und teilen ihren Internetanschluss. Die Verwaltung der Geräte übernimmt der Freifunk Frankenberg e.V. Der Verein betreut im Ehrenamt derzeit rund 180 WLAN Hotspots und die dazugehörige Hintergrundtechnologie. Aus Mellnau gehören dem Verein Jörg Balzer (Kassierer) und Andreas W. Ditze (Betreuung Burgwald) an.

Die blauen Punkte sind Orte, an denen Freifunk empfangen wird. Die Linien stehen für das Mesh-Netzwerk. Der lange Strich Richtung Wetter ist eine 4 Kilometer lange WLAN-Verbindung.

Warum der ganze Aufwand für ein bisschen WLAN?

Stand Juli 2020 gab es in Wetter und den Stadtteilen 418 Personen, die Regelbetriebsleistungen vom Landkreis (sprich „Sozialhilfe“ bezogen. Dazu kommen noch 258 Kinder- und Jugendliche, die Unterstützung gemäß SGV XII und SGB VIII erhalten. Setzt man allein die offiziell in der Statistik geführten Menschen ins Verhältnis zur Wetteraner Gesamtbevölkerung (8.820 Menschen am 30.06.2019), kommt man je nach zählweise bereits hier auf eine Quote von ca. 4,7% bis 7,6%. Bedenkt man dann noch, dass im Schnitt laut Creditreform jeder zehnte Haushalt überschuldet ist, wird das Problem noch etwas konkreter. Und wenn dann noch tausende von Schülerinnen und Schülern ins Homeschooling bzw. deren Eltern ins Homeoffice versetzt werden, wird die Bedeutung der digitalen Infrastruktur noch einmal deutlicher. Kurz & knapp: hier geht es darum, dass jeder Mensch in Mellnau grundsätzlich Zugang zum Internet haben kann – und zwar auch dann, wenn die eigene Haushaltskasse das nicht hergibt. Wir reden hier von nichts weniger als digitaler Teilhabe.

WLAN für Touristen?!?

Ein nützlicher Nebeneffekt davon ist, dass wir mit dieser Herangehensweise auch den Tourismus in der Region stärken. Klar, eine Wandergruppe kann auch ohne WLAN durch den Burgwald laufen. Wenn man den unbekannten Gast in der Pension jedoch rechtssicher surfen lassen kann, wird der Nutzen aber schon etwas sichtbarer.

Besonders deutlich wurde die Bedeutung des Internets im Coronasommer 2020, als am 11. Juli die „Marburger Clubs United“ sich zu einer sechsstündigen Session auf der Burg Mellnau trafen und live ins Internet streamten. Warum auf der Burg? Weil wir hier einer der wenigen Orte im Landkreis sind, an dem man in naturnaher Kulisse Netz hat. Angesichts der zahlreichen Fans der Marburger Clubszene hätte das ohne Pandemiebeschränkungen ein burghoffüllendes Event werden können.

Marburger Clubs United streamten am 11. Juli 2020 live von der Burg – dank Freifunk.

„Und was bringt mir das?“

Freifunk baut darauf, dass Menschen und Institutionen bereit sind, ihren Internetanschluss miteinander zu teilen. Damit das rechtssicher und datenschutzkonform geschieht, stellt der Freifunkverein die entsprechende Technik bereit. In Mellnau machen das bereits auch einige, z.B. am Wanderparkplatz, am Bolzplatz, an der Schule, in der Heppenbergstraße, in der Burgstraße und an der Burg. Dennoch stellt sich die Frage, was der teilende Haushalt davon hat, dass der Nachbar nun kostenlos surfen kann.

Es mag überraschen, aber speziell in Mellnau gibt es durchaus auch zwei eigennützige Motive, bei Freifunk mitzumachen. Es beginnt damit, dass die von der Vereinsgemeinschaft angeschaffte WLAN-Hardware von hoher Qualität ist. D.h., wer so ein Gerät an seiner Fassade hat, der verbessert seinen eigenen WLAN-Empfang im Außenbereich ganz erheblich. Der zweite große Vorteil ist, dass sich Freifunkgeräte automatisch untereinander verbinden und sich gegenseitig aushelfen, falls mal ein Internetzugang ausfallen sollte – also auch der eigene.

Das „Mesh“ Netzwerk und die Ausfallsicherheit

Die Möglichkeit, Freifunkgeräte miteinander zu kombinieren und so für eine höhere Ausfallsicherheit zu sorgen, ist einer der spannendsten Aspekte unsere Freifunknetzes. Diese Form der Netzbildung wird „Mesh“ genannt.

Dazu ein Beispiel: Man stelle sich vor, an der Grundschule fällt das Internet aus, der Router im Keller ist kaputt. Da von der Grundschule aus auch die Kirche und das DGH mit Internet versorgt werden, droht nun also Debakel: der Schulunterricht der iPad-Klasse ist gestört, der Hochzeits-DJ im DGH hat keinen Zugriff mehr auf seine Musik und die Pfarrerin kann am Sonntag keinen Stream von der Landeskirche einspielen. Alles drei wurde und wird bereits heute praktiziert. Jetzt kommt das Mesh Netzwerk ins Spiel.

Kirchturm, Burg und Grundschule ergeben die tragenden Achsen des Mellnauer Freifunknetzes

Dank der Freifunk-Technologie erhalten die Grundschule und der Kirchturm weiterhin Internet – in unserem Fall ganz konkret von der Burg. Die Burg wiederum hat „eigentlich“ gar kein eigenes Internet, zumindest liegt bisher kein Kabel dort. Sie bezieht „ihr“ Internet zwar hauptsächlich von der Grundschule, doch außerdem auch aus der Kuckuckshütte, Hoobs Hof und vom SPD-Vorsitzenden Gerd Nienhaus aus Wetter(!) sowie demnächst aus dem Kirchturm in Unterrosphe. Richtig gelesen, Mellnau erhält kostenfreies Internet aus Wetter und Unterrosphe. Freifunk kann man auch ortsübergreifend nutzen.

Was wir hier sehen ist ein Ausdruck regionaler Solidarität. Die Teilnehmer am Netz helfen sich gegenseitig – verbunden mit dem guten Gefühl, automatisch Hilfe zu erhalten, falls man sie selber einmal brauchen sollte.

Die nächsten Schritte

Kurzfristig steht zu erwarten, dass die Vernetzung zwischen Mellnau und Unterrosphe erledigt wird. Der Kirchturm in Unterrosphe ist schon bereit, an der Burg müssen noch Arbeiten unternommen werden. Beim Freifunkverein läuft dieses Engagement unter dem Stichwort „Projekt digitale Kreisstraße“ – und es hat das Potenzial, Vorbildwirkung für die gesamte Region zu haben. Immerhin kann man von der Burg aus ja sehr weit schauen, nicht nur zu Wetters Stadtteilen. Selbst eine Datenverbindung nach Amöneburg oder bis runter zum Feldberg sind grundsätzlich denkbar. Würden die Freifunker diesen Weg gehen, könnte eine Ortschaft sogar dann online gehalten werden, wenn ein zentrales Glasfaserkabel oder ein zentraler Verteilerkasten im Ort beschädigt werden würde. Nur der Strom muss dann noch durchkommen.

Schematische Darstellung des Freifunk Frankenberg Netzwerks. Die weißen Punkte stehen für voll funktionierende Hotspots. Die grünen Linien zeigen eine Mesh-Verbindung an. Das große Spinnennetz in der Mitte ist ein Gutteil des Mellnauer Netzes mit der Verbindung nach Wetter. Zwei der kleineren Netze sind Ober- und Unterrosphe.

Mittelfristig könnten wir dahin kommen, dass Menschen im Ort sich kostenfreies WLAN „bestellen“ können. Ganz praktisch wird es dann für einen normalen Haushalt möglich sein, eine Spezialantenne Richtung Kirchturm oder Burg auszurichten um darüber ein Internetsignal abzugreifen. Packt man hinter die Spezialantenne einen normalen WLAN-Router, hat man zu Hause freies Internet. Die Hardwarekosten für so eine Kombination liegen heute schon nur noch bei rund 150€. Wer bereits in der Nähe eines Freifunk-Hotspots lebt, kann sich die Spezialantenne sparen und ist schon ab 50€ mit dabei. Diese Methode ist zwar kein vollwertiger Ersatz für die Schnelligkeit einer normalen Festnetz-DSL-Flatrate, aber sie bringt brauchbar nutzbares Internet in Haushalte, wo es sonst nicht wäre. Wo es keine Sichtverbindung zu den prominenten Verteilerknoten gibt, wird die Anbindung etwas komplizierter – aber auch hier werden sich Lösungen finden. Das Wattenscheider Lager oder der Sportplatz lassen grüßen.

Langfristig könnte die Digitalisierung von Wetter und seinen Stadtteilen noch aus ganz anderen Gründen forciert werden. Ein Rasenmäherroboter auf dem Friedhof muss mit dem Bauhof sprechen können, ein Frostsensor am DGH fordert den Streudienst an, ein voller Müllcontainer ruft den Entsorger – das Internet of Things wird kommen und braucht die dazu passenden kostengünstigen Datennetze. Und auch die Lehren aus der Coronakrise werden ihre Spuren hinterlassen: zahlreiche Betriebe haben jetzt verstanden, dass sie zwar in Marburg ihren Sitz haben, ihre Mitarbeiter aber auch direkt vom Dorf aus arbeiten können. Das Stichwort lautet Homeoffice. Wir sind da zwar noch am Anfang eines langen Weges, grundsätzlich aber macht es ja für die Umwelt und die eigene Lebensqualität durchaus Sinn, nicht ständig zur Arbeit fahren zu müssen. Wer weiß, vielleicht bauen wir in 10 Jahren einen Teil des DGHs zu einem „Shared Workspace“ aus – einer büroähnlichen Fläche mit Bildschirmarbeitsplätzen, viel Internet und guter Kaffeemaschine.

Wer jetzt Lust bekommen hat, selber Teil des Netzwerks zu werden, kann sich auf www.freifunk-frankenberg.de informieren oder unter freifunk@mellnau.de Kontakt zum Freifunkteam aufnehmen.

Text & Bild: Andreas W. Ditze

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