Vergessene Orte (3.)

Bis weit in die 1950er-Jahre produzierten die Privathaushalte auf dem Lande kaum Müll: Essensreste fraß das Vieh, Asche kam als Dünger auf Gartenbeet und Feld, man reparierte, recycelte, was möglich war. Verpackungen gab’s so gut wie keine – bis das Wirtschaftswunder den privaten Konsum ankurbelte und Verpackungsberge wachsen ließen.

Als Folge wurde die in den 60er Jahren beginnende Müllentsorgung im Auftrag der Gemeinde meist durch einen Privatmann mit Traktor und Wagen erledigt. Der Müll wurde am Straßenrand in alten Behältern oder Säcken bereitgestellt, natürlich ohne die heutige Trennung. Auch heutiger „Sondermüll“ war schon mal dabei. Der Müll wurde in nahgelegene Müllkippen, beispielsweise in Steinbrüchen, Erdgruben oder auf Freiflächen außerhalb der Ortschaften, entsorgt. Hier landete alles, was nicht mehr gebraucht wurde – von der Waschmaschine bis zum Auto. Jegliche Art von Müll durfte ungestraft weggeworfen werden. Größere Müllmengen wie Sperrmüll und Bauschutt musste man selbst auf der dörflichen Deponie entsorgen.

Müllentsorgung in den 60er Jahren

Die öffentliche Müllabfuhr begann 1964 auf Antrag des Heimat- und Verkehrsvereins, sicherlich veranlasst durch den laufenden Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“. Aufgrund dieses Antrages beschloss die Gemeindevertretung am 3. März 1964 „…dass die Müllabfuhr versuchsweise eingeführt wird. Die anfallenden Kosten werden auf die Haushalte umgelegt“. In einem weiteren Beschluss vom 12. Juni 1964 wurde festgelegt „dass die Abfuhr alle drei Wochen durchgeführt wird. Im Auftrag der Gemeinde und gegen ein entsprechendes Entgelt fährt ein Mellnauer Bürger mit eigenem Traktor und Wagen den Müll im Auftrag der Gemeinde ab.“

Der ursprüngliche Beschluss vom 3. März 1964 „die Unkosten auf die Haushalte umzulegen“, wurde am 1.Februar 1966 dahin geändert „ dass die Unkostenbeiträge für die Müllabfuhr auf alle Personen einschließlich derjenigen die im laufenden Kalenderjahr das sechste Lebensjahr vollenden werden“ umgelegt. Die Höhe der Gebühren wurde nicht genannt. Am 17.2.1970 wurden Gebühren von 2,20 DM auf 2,50 DM je Person festgelegt.

Über 50 000 wilde Mülldeponien

Solche Müllkippen gab es Anfang der 70er allerorten. Im ersten Umweltbericht der Bundesregierung (1970) schätzen die Autoren die Zahl der wilden Kippen bundesweit auf 50 000, die eigentliche Zahl dürfte allerdings noch höher gewesen sein.

Die alte Tränke – wo morgens die Wildschweine suhlen und im Sommer die Frösche ihr Konzert geben, schlummern unter einer dünnen Grasnarbe mehr als 6000 Kubikmeter vergangener Hinterlassenschaften unserer modernen Industriegesellschaft. (Foto: A.Völk)

Wie auf der Karte ersichtlich, gab es um Mellnau gleich mehrere dieser Deponien. Darüber hinaus entstanden noch weitere kleinere Halden im Ortsbereich, wie zum Beispiel am Försterweg, im Dämmersgrund oder am Wendeplatz.

Der damalige Bürgermeister Hermann Hahn erinnert sich, dass die erste offizielle gemeindliche Mülldeponie im vorderen Bereich des Weges „Im Haingarten“ angelegt wurde. Der Müllplatz konnte auch für Selbstablagerungen (Bauschutt u.a.) benutzt werden. In 1970 wurde diese Deponie vergrößert.

Aber bereits am 9. Februar 1971 beschloss die Gemeinde Mellnau „die Neuanlage eines Müllplatzes im unteren Bereich der Alten Tränke“. Die Stellungnahmen der Aufsichtsbehörden (Wasserwirtschaftsamt, Gesundheitsamt) wurden vorher eingeholt. Die Gebühren wurden durch gleichen Beschluss „auf 4,50 DM pro Kopf“ erhöht.

1970 hatten 41 Prozent der Bundesbürger den Begriff Umweltschutz noch nie gehört.

Das änderte sich auch nur schleppend. Die wilden Müllkippen wurden allerdings mehr und mehr zum Problem. Mit der aufstrebenden Wirtschaft änderte sich auch die Zusammensetzung und Gefährlichkeit der Abfälle. Schwelbrände, seuchenhygienische Gefahren und Verunreinigung des Grundwassers durch Sickerwässer waren die Folge. Viele Mellnauer erinnern sich noch an die „braune Brühe“ die sich zwischen „Bernel“ und „Schlinke“ ihren Weg bahnte

Das Bewusstsein wuchs, dass von diesen Abfällen unter Umständen Gefahren für Boden, Luft und Wasser ausgehen könnten. Es fand ein Umdenken statt und Maßnahmen wurden entwickelt, um mögliche Gefahren so gering wie möglich zu halten.

1972 trat das Gesetz über die Beseitigung von Abfällen in Kraft, mit dem vor allem wilde Müllkippen verboten wurden.

Im Rahmen der Hessischen Gebietsreform wurde eineumweltgerechte Müllentsorgung“ ins Leben gerufen. Der Mellnauer Müll wurde durch ein privates Müllunternehmen eingesammelt und zur kreiseigenen Deponie abgefahren. Für unbelasteten Bauschutt, Erdaushub und Grünabfälle betrieb die Stadt Wetter noch einige Jahre eine eigene Deponie an der K 1 („in der Schlinke“) zwischen Mellnau und Wetter.

Gutachten bescheinigt Unbedenklichkeit

Nach Rückfrage bei Bürgermeister Spanka, mussten die alten Deponien nach Aufforderung durch das Regierungspräsidium Gießen (RP) auf Altlasten untersucht werden. So auch die Deponien der Stadt Wetter und ihrer eingemeindeten Stadtteile. Zwischen 2008 und 2011 erfolgten mehrere Untersuchungen durch staatlich zertifizierte Institute.

Unter Beachtung der Untersuchung konnte der RP die Besorgnis einer schädlichen Bodenveränderung ausräumen.

Gemäß Übersichtsplan wurden in Mellnau zwei Standorte untersucht.

Ob die erfolgten Untersuchungen ausreichen, eine langfristige Gefährdung auszuschließen, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Bis heute ist nicht klar, was genau abgelagert wurde und welche Folgen dies für unsere Umwelt haben wird.

Es gibt Hoffnung

Wissenschaftler der Universität Gießen gruben unter der Leitung von Professor Stefan Gäth in alten Mülldeponien nach dem „Erbe der Wegwerfgesellschaft“. Die Forscher waren erstaunt, wie gut der Müll sich ein halbes Jahrhundert lang gehalten hat. Selbst alte Zeitungen waren noch lesbar. Die Müllproben lassen hoffen. Wenn die Rohstoffpreise weiter steigen, wird sich das Ausgraben alter Müllreserven schon bald lohnen und eine alte Halde könnte so zur wertvollen Rohstoffquelle werden. Je nach Preisentwicklung schätzen Experten den Rohstoffwert einer einzigen alten Müllhalde auf 25 bis 80 Millionen Euro.“

H. Schumacher u. A. Völk

Quellen: wertstoffblog.de /Stadt Wetter / Gemeindeakten Mellnau

Hermann Wagner und Johannes Jesberg bekamen von der Gemeinde den Auftrag, den Mellnauer Müll abzufahren. Auf dem Foto sieht man Waldemar Hahn und Heinrich Belzer vor Kriegs altem Haus.

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